Mut zur Innovation und Veränderung

Jahrestagung der Jugendamtsleitungen Baden-Württemberg 2024

Die Jahrestagung startete mit einer klaren Botschaft von Verbandsdirektorin Kristin Schwarz: Die aktuellen Krisen und Problemlagen strapazieren die Ressourcen der Kinder- und Jugendhilfe. Neben Personal- und Zeitmangel belasten vor allem bürokratische Hürden das System. Sie betonte die Notwendigkeit einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren und politischen Ebenen sowie den Mut zur Innovation und Veränderung. Sie ermutigte die Teilnehmenden, die aktuellen Umstände als Chance zur Entwicklung zu begreifen, inspiriert durch Albert Einsteins Worte: „Inmitten der Schwierigkeiten liegt die Möglichkeit“.

Der Leiter des KVJS- Dezernats Jugend – Landesjugendamt, Gerald Häcker, führte in seinem Eingangsstatement aus, dass die Kinder- und Jugendhilfe bei aller notwendigen kritischen Eigenreflexion Anlass zum Selbstbewusstsein habe, da dieses Arbeitsfeld für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und unserer Gesellschaft von maßgeblicher Bedeutung sei. Angesichts der begrenzten Ressourcen gehe es nicht um „Goldstandards“, sondern um eine gute, solide Qualität mit dem Ziel „der Förderung und Entwicklung der jungen Menschen zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gesellschaftsfähigen Persönlichkeiten“, im Sinne § 1 Abs1 SGB VIII.

Marion Steck (KVJS Referatsleitung Jugendarbeit, Förderprogramme und Landesverteilstelle UMA) präsentierte die aktuellen Entwicklungen der Landesverteilstelle für unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) in Baden-Württemberg. Seit der bundesweiten Verteilung ab KW 36/2023 wurden insgesamt 1.083 UMA in andere Bundesländer transferiert. Der KVJS unterstützt die Jugendämter bei der Bewältigung zusätzlicher Aufgaben im Rahmen der bundesweiten Verteilung und hat ein Dienstleistungsangebot für die Übergabe der UMA (Terminkoordination und Transport) eingerichtet, das seit Januar 2024 etabliert ist.

Der Vortrag des Sozialministeriums von Ulrich Schmolz (Referatsleitung Kinder, Schutzkonzepte) behandelte die Umsetzung des Fünf-Punkte-Plans im Bereich der Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Ausländer (UMA). Dieser umfasste Kapazitätserweiterungen, die koordinierte bundesweite Verteilung sowie klare Abläufe im UMA-Clearing-Prozess. Ziel dieses Verfahrens ist die Perspektiv- und Bedarfsklärung im Rahmen der Inobhutnahme. Bürokratische Entlastungen durch vereinfachte Kostenabrechnungen wurden ebenfalls vorgestellt.

Der Vortrag von Jana Ellwanger (Kultusministerium, Stellvertretende Referatsleitung, Frühkindliche Bildung) konzentrierte sich auf die aktuellen Entwicklungen im Bereich der frühkindlichen Bildung in Baden-Württemberg. „Geplant sind Maßnahmen zur Stärkung der Sprachförderung, gesetzliche Änderungen im Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) sowie Maßnahmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs.“

Kristin Hermann (KVJS, Referatsleitung Kindertageseinrichtungen) berichtete zum aktuellen Stand und zu Maßnahmen der Umsetzung des Erprobungsparagrafen im Betriebserlaubnisverfahren.Flexible Ausnahmeregelungen wurden mit dem Landesgesundheitsamt Stuttgart (LGA) zur Sanitärausstattung in Bestandsgebäuden vereinbart. Die Angebotsform „Kita-Einstiegsgruppe“ sowie die Übergangsregelung in § 1a KiTaVO wurden bis zum 31. August 2025 verlängert. Träger können seit dem 9. Dezember 2023 auf Antrag für bis zu drei Jahre von den KiTaG- und KiTaVO-Vorgaben abweichen. Die Vorgaben des SGB VIII gelten weiterhin. Sie wies außerdem darauf hin, dass die Erprobung in Bezug auf die Einrichtung unter fachlicher Begleitung einer Fachkraft analog §7 KiTaG zu erfolgen hat, Abweichungen von den räumlichen Voraussetzungen sind grundsätzlich möglich.

Dr. Jürgen Strohmaier (KVJS, Referatsleitung Hilfe zur Erziehung) und Kathrin Kratzer (KVJS, überörtliche Jugendhilfeplanung und -berichterstattung) diskutierten einen möglichen Paradigmenwechsel und ermöglichten eine qualitative und quantitative Situationsanalyse im Handlungsfeld Hilfe zur Erziehung, wobei sie demografische, Krisen-, Anspruchs- und Anerkennungsfaktoren analysierten. Die Impulse zur Verbesserung der Personalsituation beinhalteten die Überprüfung von Hilfe- und Leistungsformaten sowie die Erweiterung des Personaltableaus. Fortlaufende Maßnahmen umfassten die Weiterentwicklung des Rahmenvertrags und den Ausbau der Fortbildung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), wobei die Bedeutung von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit ebenfalls angesprochen ist.

Aus der Kommission Kinder- und Jugendhilfe (KJH) berichteten Benjamin Lachat (Vorsitzender der Kommission) und Barbara Brüchert (stv. Vorsitzende) über die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen der stationären Jugendhilfe. Dabei wurden verschiedene Perspektiven, die derzeit in der KJH erörtert werden, vorgestellt u. a. des Städtetags/Landkreistags, der Liga-Verbände sowie des KVJS-Landesjugendamtes. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, erfordere es eine multiprofessionelle Erweiterung der Fachlichkeit. Es bestehe die Notwendigkeit, kreative Ideen zur Strukturstärkung und Optimierung einzubringen, ohne Standards zu senken. Eine transparente Gestaltung des ordnungsrechtlichen Rahmens und eine Verlagerung der Personaleinsatzverantwortung zum Träger wurden als Lösung vorgeschlagen, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen.

Im Bericht von Waltraud Mäule (Landkreistag Baden-Württemberg) wurde das Thema schulische Inklusion hervorgehoben, insbesondere bezüglich inklusiver Leistungen an Schulen wie Schulbegleitung. Dabei wies sie auf den Missstand hin, „dass die Stadt- und Landkreise Aufwendungen für diese Leistungen tragen, jedoch nicht für alle Fallkonstellationen Ausgleichszahlungen erhalten.“

Alina Greiner (Medizinisch-Pädagogische Dienst, stv. Leitung) stellte die Aufgaben des Medizinisch-Pädagogischen Dienstes (MPD) dar. Der MPD beim KVJS besteht aus 26 Mitarbeitenden und unterstützt Träger der Eingliederungshilfe durch fachliche Stellungnahmen, Beratungen, Fortbildungen und Mitwirkung in Gremien. Zudem ist beim KVJS eine Koordinierungsstelle für aus der Ukraine geflüchtete Menschen mit Pflegebedarf eingerichtet. Marco Nagel (Institution, Position) informierte anschließend zum Thema „International Classification of Functioning, Disability and Health “(ICF).

ICF ist ein Rahmenkonzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Beschreibung von Gesundheit und Gesundheitszuständen. Es bietet eine ganzheitliche Perspektive, die nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch psychische und soziale Aspekte berücksichtigt. Durch die Klassifizierung von Aktivität, Teilhabe und Kontextfaktoren hilft die ICF, den Gesundheitszustand von Individuen umfassend zu verstehen und zu analysieren.

Prof. Dr. Thomas Rauschenbach (Institution, Position) referierte zum Thema „Ganztag 2.0 – Eckwerte für die Gestaltung eines neuen Ortes des Aufwachsens für Kinder“. In diesem Zusammenhang betonte er die komplexe Vielfalt des Ganztagsangebots sowie die fehlende eindeutige Zuständigkeit, was zu unzureichenden Lösungen führt. „Die Einführung des Rechtsanspruchs ab 2026 markiert einen entscheidenden Schritt hin zu einem verbindlichen Ganztagsbetrieb.“ Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit, den Ganztagsbetrieb nicht nur als Betreuungseinrichtung zu verstehen, sondern als eigenständigen Bildungsort, der Lebensweltliches Lernen (Alltagsbildung) fördert. Diese Vision erfordert eine Neuausrichtung des Ganztagskonzepts, um den Kindern eine ganzheitliche Bildung zu ermöglichen. Trotz der bestehenden Schwierigkeiten wie Mangel an Plätzen, Personal und Standards betonte er, dass ein erfolgreicher Ganztagsbetrieb möglich ist, wenn die Attraktivität gesteigert und eine umfassende Bildung gewährleistet wird. Dies erfordere eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Ganztagskonzepts, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden.

Die Präsentation von Prof. Dr. Joachim Fiebig (KVJS, überörtl. Jugendhilfeplanung und -berichterstattung) beinhaltete Neuigkeiten aus Baden-Württemberg zum Ganztagsförderungsgesetz. Ab dem 1. März 2025 wird die „Statistische Meldepflicht Schule“ in Kita-Data-Webhouse (KDW) gemäß des Ganztagesförderungsgesetzes (GaFöG) umgesetzt, um so die Bedarfe an Unterstützungsleistungen zu ermitteln. Der komplexe Verfahrensablauf wurde von einer Arbeitsgruppe von Vertreterinnen und Vertretern der Kommunalen Landesverbände (KLV), des Kultusministeriums, des Statistischen Landesamts (StaLA), des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) und des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) erarbeitet. Zu klärende Punkte sind unter anderem die Erhebungs- und Clearingstelle, Auskunftspflicht, Rechtsgrundlagen und die Finanzierung. Er betonte, dass die Zusammenarbeit mit KDW unerlässlich ist, um die Verfügbarkeit von Statistikdaten für Kommunen, Kreise und Schulen sicherzustellen.

Die Jahrestagung endete mit einem Bericht über aktuelle Entwicklungen des KVJS-Landesjugendamtes, der Jugendämter und der Kommunalen Landesverbände.

Die nächste Jahrestagung der Jugendamtsleitungen Baden-Württemberg findet vom 25. Februar bis 26. Februar 2025 im KVJS-Bildungszentrum Schloss Flehingen statt.