Jahrestagung aller Netzwerkkoordinierenden Frühen Hilfen zu kultursensiblem Arbeiten (2023)

Die diesjährige Jahrestagung stand unter dem zentralen Thema "Kultursensibles Arbeiten in den Frühen Hilfen" und fand vom 21. bis 22. November 2023 im KVJS-Tagungszentrum Schloss Flehingen statt.

Marion Steck, Leiterin Referat 44 – Jugendarbeit, Förderprogramme und Landesverteilstelle UMA des KVJS-Landesjugendamts Baden-Württemberg machte deutlich, dass die gesellschaftliche und politische Situation von Familien mit Migrations- und Fluchthintergrund besondere Beachtung verdiene. Trotz vergleichbarer Belastungsfaktoren zu einheimischen Familien stehen sie vor spezifischen Herausforderungen wie Sprachbarrieren, Rassismus-Erfahrungen und unsicherem Aufenthaltsstatus. Sie betonte: „Diese Familien zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in unserer Gesellschaft zu integrieren ist essenziell, um letztlich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.“ Die Frühen Hilfen, die Unterstützung in den ersten Lebensjahren bieten, spielen eine entscheidende Rolle, insbesondere im Gesundheitsbereich. Sie hob die Bedeutung kultursensibler Arbeit hervor, die darauf abzielt, die individuellen Bedürfnisse und kulturellen Hintergründe der Familien zu respektieren. Eine offene und wertschätzende Haltung gegenüber Familien mit Migrations- und Fluchthintergrund sei entscheidend, um eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Die aktuellen Statistiken zu Rassismus in Deutschland wurden ebenso thematisiert wie die Bedeutung einer rassismuskritischen Haltung in den Frühen Hilfen.

Dennis Schüssler (Mitarbeiter, Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg) hieß die Teilnehmenden herzlich willkommen und betonte die Bedeutung des gewählten Themas.

Die Mitarbeiterinnen der Landeskoordinierungsstelle BW Cornelia Gaal, Kathrin Heubach und Birgit Unger gaben Einblicke in das bisherige Jahr 2023 und präsentierten zukünftige Neuerungen der Landeskoordinierungsstelle. Darunter die digitale Einreichung von Anträgen ab 2024 sowie die Einführung einer digitalen Plattform für die Prüfung von Anträgen und Rückfragen. Ab dem Haushaltsjahr 2024 werden auch Verwendungsnachweise digital übermittelt, wodurch die Daten automatisch aus dem Antrag übernommen werden.

Im Anschluss verdeutlichte Sebastian Boye (Welthaus und EPiZ/Bildung trifft Entwicklung) die Bedeutung des Konzepts „Kultur“ in einer zunehmend multikulturellen Welt anhand des Weltplanspiels. Die Teilnehmenden wurden dazu eingeladen, gemeinsam eine Reise anzutreten, um die Vielfalt der Menschheit zu erkunden. Dabei sollten Klischees und Vorurteile überwunden werden und eine Botschaft zur Förderung der Friedenskultur hervorgehen. Die Veranstaltung betonte die Notwendigkeit, einen kultursensiblen Blick zu entwickeln, der Perspektivenwechsel und Empathie im Umgang mit migrantischen Familien im Sozialwesen ermöglicht.

Am Nachmittag verdeutlichte Esinu Afele (Integrationsmanagerin und Beauftragte für Antirassismus, Trainerin und Moderatorin für Antidiskriminierung & Rassismus) mit ihrem Vortrag „Rassismuskritik in den Frühen Hilfen“, wie eine rassismuskritische Haltung in den Frühen Hilfen erkannt und umgesetzt werden kann. Sie führte zunächst in die historische Entstehung, gesellschaftliche Strukturen und aktuelle Gegebenheiten rassistischer Handlungen ein. Dabei wurden die Begriffe wie Stereotyp und Vorurteil differenziert, soziale Werte, Normen, Privilegien und gesellschaftliche Macht und anhand von Praxisbeispielen verdeutlicht. Zentraler Punkt in den Frühen Hilfen sei die interkulturelle Vermittlung von Erziehung in Form einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit verschiedenen Erziehungskulturen: „Dabei geht es jedoch nicht darum, einfach die Erziehung aus anderen Ländern nachzuahmen, sondern vielmehr um das Entwickeln einer gemeinsamen Basis. Wichtig ist, die Menschen als Individuen ihrer Kultur wahrzunehmen und diese nicht aufgrund von Stereotypen auf Einzelaspekte zu reduzieren.“

Der zweite Tag war geprägt von interaktiven Vorträgen zu Praxisbeispielen und Workshops zum zentralen Jahrestagungs-Thema und boten neben Wissensvermittlung auch den praxisnahen Austausch über konkrete Herausforderungen in den Frühen Hilfen.

Der Workshop zum Thema „Migrationsbedingte Aspekte in der Lotsentätigkeit von Nicole Hellwig beleuchtete die Herausforderungen, denen sich Lotsen in Geburtskliniken und Praxen gegenübersehen, wenn sie sich auf neue Themen und Belastungen von geflüchteten Menschen einstellen. Dabei wurden typische Prozessabläufe skizziert und anhand von Praxisbeispielen diskutiert, um Möglichkeiten und Grenzen dieses Tätigkeitsfeldes im Kontext von Flucht und Migration zu erörtern.

Feray Sahin (Der Paritätische, Bereichsleitung Familie, Kinder, Migration und Diversity) adressierte in ihrem Workshop zu „Migration und Gesundheit“ die Herausforderungen bei der Unterstützung von Familien mit Migrationshintergrund. Sie betonte spezifische Belastungsfaktoren und empfahl eine kultur- und diversitätssensible Beratung.

Im Workshop zur kultursensiblen Gestaltung des Kinderschutzes stellte Birgit Unger (Landeskoordinierungsstelle Frühe Hilfen, KVJS Stuttgart) die Materialien von Ursula Teupe (Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz gGmbH) vor. Durch kollegialen Austausch sollten praxisnahe Anregungen erarbeitet werden, um neue Herangehensweisen zu identifizieren. Sie betonte die Notwendigkeit eines sensiblen Fallverstehens in der Praxis, um kulturelle Aspekte angemessen zu berücksichtigen und dabei Kulturalisierung zu vermeiden.

Der Workshop von Vera Sompon (Sompon Socialservices Baden-Württemberg e.V.) bot konkrete Einblicke in die Herausforderungen und Lösungsansätze bei der Arbeit mit schwer erreichbaren Zielgruppen in den Frühen Hilfen. Teilnehmende erhielten die Gelegenheit, sich in andere Lebenssituationen zu versetzen, um Kompetenzen für die eigene Beratung zu entwickeln. Dabei nahm sie aktiv die Rolle der Zielgruppe ein und zeigte anhand von lebendigen Praxisbeispielen ihrer langjährigen Erfahrung, wie der Zugang zu schwer erreichbaren Zielgruppen gebahnt werden kann.

Die Tagung endete mit einem Austausch in kleinen Gruppen, in dem Grenzen des Systems und aktuelle Herausforderungen wie Ressourcenmangel, sowohl finanziell als auch personell, diskutiert wurden. Der Abschlussaustausch zeigte das gesteigerte Bewusstsein für die Bedürfnisse von Familien mit Migrations- und Fluchthintergrund.

Der Termin für die nächste Jahrestagung aller Netzwerkkoordinierenden Frühe Hilfen steht bereits fest. Sie ist vom 6. bis 7. November 2024 im KVJS-Tagungszentrum Gültstein geplant. Hier geht's zur Anmeldung.