Jahrestagung der Jugendamtsleiterinnen
und Jugendamtsleiter Baden-Württemberg 2020

Hochaktuelle Themen und 100 Jahre Kinder- und Jugendhilfe

Auf die baden-württembergischen Jugendamtsleiterinnen und Jugendamtsleiter wartete am 18. und 19. Februar 2020 in Gültstein ein umfangreiches Tagungsprogramm, bei dem aktuelle Themen und Herausforderungen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe aufgegriffen und gemeinsam diskutiert wurden.

Kristin Schwarz, die Verbandsdirektorin des KVJS, begrüßte die fast vollzählig anwesenden Jugendamtsleiterinnen und Jugendamtsleiter aus Baden-Württemberg sowie Dr. Simone Höckele-Häfner und Sebastian Altemüller vom Sozialministerium, die Partnerinnen und Partner der kommunalen Landesverbände Dietmar J. Herdes und Waltraud Mäule vom Landkreistag sowie Michael Link vom Städtetag. „Auch dieses Jahr laden wir Sie wieder ein zu einer Reise durch zahlreiche Themenfelder der Kinder- und Jugendhilfe. Die Reise, auf die wir uns heute und morgen machen, verspricht abwechslungsreich und interessant zu werden. Denn die Themen, die wir ausgewählt haben, sind hochaktuell und mit zahlreichen Herausforderungen verbunden, denen wir uns stellen wollen und müssen.“

Seit rund 100 Jahren gibt es die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland

Reinhold Grüner, Dezernatsleiter des KVJS-Landesjugendamtes und Moderator der Veranstaltung, führte anschließend in das Tagungsprogramm ein und begrüßte den ersten Referenten an diesem Tag. Heinz Müller, Vorstand und Geschäftsführung des Instituts für Sozialpädagogische Forschung in Mainz (ism gGmbH), gab einen Rückblick auf 100 Jahre Kinder- und Jugendhilfe. Zentrale Aspekte seines Vortrages konzentrierten sich auf diese Fragestellungen: Was kann man im Rückblick auf 100 Jahre Jugendämter in Deutschland für die Zukunft lernen? Wo steht die Jugendhilfe heute und wie soll sie sich weiterentwickeln? Wohin steuern die Jugendämter? „Der Blick in die Vergangenheit macht Mut für die Zukunft. Wir haben noch große Baustellen vor uns, die wir mutig angehen können.“ Im Anschluss an den Vortrag gab es Raum für Diskussionen.

Weiterentwicklung der örtlichen Kinderschutzverfahren in Baden-Württemberg

Mit dem vom Land auf den Weg gebrachten Landeskinderschutzkonzept wurde ein Prozess angestoßen, indem das Deutsche Jugendinstitut (DJI) aus München alle Jugendämter in Baden-Württemberg bei der Weiterentwicklung ihrer Kinderschutzkonzepte beraten hat. Die Situation des Kinderschutzes in den Jugendämtern in Baden-Württemberg wurde mittels eines Selbstevaluationsinstrumentes erhoben. Christine Gerber vom Deutschen Jugendinstitut präsentierte in ihrem Vortrag erste Ergebnisse und Erkenntnisse der Evaluation. Ziel des gemeinsamen Konzepts des DJI, des Ministeriums für Soziales und Integration Baden-Württemberg und des KVJS-Landesjugendamtes ist die praxisorientierte Weiterentwicklung der Kinderschutzverfahren in Baden-Württemberg. In einer Podiumsdiskussion im Anschluss an den Vortrag, unter Beteiligung von Dr. Jürgen Strohmaier (Referatsleiter im Referat 43 „Hilfe zur Erziehung“ des KVJS-Landesjugendamtes), der die Podiumsdiskussion moderierte, sowie Dr. Susanne Heynen (Jugendamtsleiterin Stuttgart) und Susanne Keppler (Jugendamtsleiterin Rhein-Neckar-Kreis), Wolfgang Trede (Jugendamtsleiter Böblingen) und Sebastian Altemüller (Sozialministerium) ging es dann um die vom Land eingerichtete Kinderschutzkommission, die gerade ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Die Jugendamtsvertretungen, die in der Kommission beziehungsweise den Unterarbeitsgruppen mitarbeiteten, diskutierten die Erfahrungen, Ergebnisse, Handlungsempfehlungen und Perspektiven für die Arbeit der Jugendämter und anderer beteiligter Stellen, wie Gerichte, Polizei und Gesundheitswesen.

Zwischenbilanz UMA

Gerald Häcker, Referatsleiter des Referats 41 „Grundsatz, Zentrale Adoptionsstelle, Landesverteilstelle UMA“, stellte gemeinsam mit Udo Wegen, Fachbereichsleiter „Jugend und Familie“ beim Landratsamt Lörrach, eine „Zwischenbilanz UMA“ vor. Udo Wegen verdeutlichte in seinem Vortrag, dass die Betreuung der zahlreichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge erfolgreich umgesetzt wurde. Den gewonnenen Erfahrungsschatz müsse man festhalten, sollte noch einmal so eine Situation eintreten. Dieser Erfahrungsschatz sei von großer Bedeutung, um zukünftig gute Lösungswege finden zu können. Um den Jugendämtern einen fachlichen Rahmen zur Bilanzierung der Hauptzugangsjahre von UMA zu bieten, sei ein „Format“ (Fachtag/Expertenhearing/AG) erforderlich. „Baden-Württemberg musste zunächst als aufnehmendes Bundesland monatlich bis zu 1.057 zusätzliche UMA (Dezember 2015) betreuen und versorgen“, erklärte Gerald Häcker. „Seit August 2016 ist Baden-Württemberg abgebendes Bundesland.“ Der Rückgang der verbleibenden UMA im Land gehe inzwischen einher mit dem Rückbau der Angebotsstrukturen. Der Rückbau sei nicht unproblematisch, denn sollte sich wieder eine Situation wie 2015 ergeben, müsste die komplette Infrastruktur wieder neu aufgebaut werden.

KVJS-Berichterstattung

Aus dem Bereich der Berichterstattung des KVJS-Landesjugendamtes informierte zum einen Dr. Ulrich Bürger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team „Jugendhilfeplanung und -berichterstattung“ des KVJS-Landesjugendamtes, in seinem Vortrag „Kinder- und Jugendhilfe im demografischen Wandel – Update 2020“ über die grundlegenden langfristig zu erwartenden Veränderungen im Bevölkerungsaufbau Baden-Württembergs aus dem Blickwinkel der Handlungsbedarfe für junge Menschen und Familien. Er warf zudem ein Schlaglicht hinsichtlich der Auswirkungen der demografischen Dynamik auf die Personalentwicklung in den Jugendämtern Baden-Württembergs. Zum anderen informierte Volker Reif, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team „Jugendhilfeplanung und -berichterstattung“ des KVJS-Landesjugendamtes, zum Thema „Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg“. Er setzte dabei den thematischen Schwerpunkt auf die selbstverwalteten Jugendeinrichtungen, deren Infrastruktur im vorliegenden Umfang in Baden-Württemberg seit 2015 bundesweit einmalig erhoben wird sowie auf die Kerntätigkeiten Kommunaler Jugendarbeit auf Gemeinde-, Stadt- und Kreisebene.

Junge Menschen mit besonderen Bedarfen

Den zweiten Tag der Jahrestagung eröffnete Reinhard Glatzel, Amtsleiter des Jugendamts Reutlingen, der in seinem Vortrag das Thema „Junge Menschen mit besonderen Bedarfen“ in den Fokus setzte. Wie schwierig ist der Umgang in den erzieherischen Hilfen mit pädagogisch besonders forderndem Verhalten von Kindern und Jugendlichen? „Es gibt nicht die oder den ‚schwierigen‘ Jugendlichen. Wir erwarten von den Jugendlichen eine Anpassung an die Werte und Normen der Gesellschaft – unserer Gesellschaft – und eine Aufgabe ihrer Lebensstile, ihrer erlernten Verhaltensweisen. Es gibt keine unerreichbaren Kinder und Jugendlichen, sondern nur möglicherweise ungeeignete Mittel und Methoden, um sie zu erreichen.“ Aus seiner Sicht müsse ein Verständnis entwickelt werden, dass beide Träger – der öffentliche und der freie – eine gemeinsame Verantwortung für diese jungen Menschen und ihre Familien haben, und gemeinsam eine wirkungsvolle Lösung suchen, die einhergeht mit der geeigneten und notwendigen Hilfe. (Hinweis: Unter dem Titel „Systemsprenger*innen? Systemherausforderer!“ veranstaltet die Aktion Jugendschutz (ajs) in Kooperation mit dem KVJS am 9. Juli 2020 einen Fachtag, der die Thematik ebenfalls aufgreift. Weitere Informationen finden Sie hier.)

Verbindlichere Regelungen durch die Reform des Jugendgerichtsgesetzes

Mathias Braun, Fachreferent im Referat 43 „Hilfe zur Erziehung“, beleuchtete im Anschluss die Auswirkungen auf die Jugendhilfe im Strafverfahren  (JuHiS) durch das am 17.12.2019 in Kraft getretene „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren“. „Grundsätzlich ist die Zielsetzung der EU-Richtlinie und die Reform zu begrüßen. Die Rolle und die Bedeutung der JuHiS wurden gestärkt. Vieles war bisher schon fachlicher Standard, wurde jedoch flexibel gehandhabt. Jetzt ist es verbindlicher geregelt. In einigen Bereichen kann sich dadurch auch der personelle Aufwand erhöhen. Die Auswirkungen auf die Praxis können aber noch nicht abschließend beurteilt werden.“

Zusätzliche Fachkräfte werden in der Kindertagespflege benötigt

Über „Aktuelles aus der Kindertagesbetreuung“ informierte Evelyn Samara, Referatsleiterin im Referat 42 „Kindertageseinrichtungen“ des KVJS-Landesjugendamtes. Sie stellte die Ziele der Kindertagesbetreuung nach SGB VIII noch einmal dar und informierte über die Aktivitäten des Referats: „Seit 2010 führt das KVJS-Landesjugendamt eine jährliche Erhebung zu den Entwicklungen der Kindertagespflege bei den Jugendämtern in Baden-Württemberg durch. Von 2010 bis 2018 ist die Anzahl der betreuten Kinder von 15.741 auf 21.467 gestiegen (+36,4 %/Datenquelle KVJS). Dringend gesucht werden weitere Kindertagespflegepersonen. Auch die Kindertageseinrichtungen leiden unter dem Fachkräftemangel. Es ist zu befürchten, dass in den nächsten Jahren der Rechtsanspruch auf eine Kindertagesbetreuung nicht mehr erfüllt werden kann. In den Kindertageseinrichtungen werden in den nächsten Jahren 40.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt. Aktuell wird eine Übergangslösung zur Erhöhung der Höchstgruppenstärke in bestimmten Fällen diskutiert. Die kommunale Seite, die kirchlichen Kindergartenverbände und der KVJS hatten in einer Verantwortungsgemeinschaft diese befristeten Erleichterungen für die Schaffung weiterer Plätze vorgeschlagen. Eine Umsetzung ist aber nur möglich, wenn die Landesregierung ‚grünes Licht‘ für diesen Vorschlag gibt. Am 12. Februar 2020 fand hierzu eine Anhörung im Bildungsausschuss der Landesregierung statt. Es bleibt abzuwarten, ob die Landesregierung diesen Weg eröffnen wird.“

Die Jahrestagung endete mit der Verabschiedung von Konrad Gutemann, Leiter des Jugendamtes in Ravensburg, in den Ruhestand. Im Namen aller Anwesenden bedankte sich Wolfgang Trede (Jugendamtsleiter Böblingen) bei Konrad Gutemann für sein großes Engagement bei der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Baden-Württemberg.

Tagungsunterlagen

Dienstag, 18. Februar 2020

100 Jahre Jugendämter in Deutschland – was wir aus der Geschichte für die Zukunft lernen können?!
Heinz Müller (ism gGmbH)

Zwischenbilanz UMA

„UMA-Übergänger“/Junge Volljährige
Erfahrungsaustausch zur Kostenerstattungspraxis des Regierungspräsidiums Stuttgart

Landesverteilstelle Unbegleitete Minderjährige Ausländer (UMA) Baden-Württemberg
Zentralisierung der Altersfeststellung mutmaßlicher UMA in Heidelberg
Gerald Häcker (Leiter Referat 41, KVJS-Landesjugendamt)

Kinder- und Jugendhilfe im demografischen Wandel – Update 2020
Baden-Württemberg am Beginn des ersten „stürmischen Jahrzehnts“

Dr. Ulrich Bürger (KVJS-Landesjugendamt)

Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg
Volker Reif (KVJS-Landesjugendamt)


Mittwoch, 19. Februar 2020

Wie schwierig ist der Umgang in den erzieherischen Hilfen mit pädagogisch besonders forderndem Verhalten von Kindern und Jugendlichen/Statement aus Sicht eines Jugendamtes
Reinhard Glatzel (Amtsleiter Jugendamt Reutlingen)

Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren –
Auswirkungen auf die Jugendhilfe im Strafverfahren

Mathias Braun (KVJS-Landesjugendamt)

Aktuelles aus der Kindertagesbetreuung
Evelyn Samara (Leiterin Referat 42, KVJS-Landesjugendamt)